Wie wird eine praxisorientierte BWL möglich?

Die Betriebswirtschaftslehre ist eine praxisorientierte Wissenschaft, der es um das nachvollziehbare Ableiten theoretischer Erkenntnisse und das Herleiten praxistauglicher Gestaltungsvorschläge für die betriebliche Praxis geht. Zu erarbeiten sind möglichst allgemein anwendbare Methoden, Instrumente oder Konzepte und nicht nur Lösungsvorschläge für eine einzelne Problematik. [8, S. 141] Theorie ist dabei keinesfalls das Gegenteil von Praxis, vielmehr sind Theorie und Praxis zwei sich gegenseitig bedingende Polare einer tragfähigen Berufsqualifizierung („Employability“). Gefordert wird eine theorieorientierte Distanz zur konkreten Alltagspraxis, in der auch die oft begrenzten Möglichkeiten von „Steuerung“ bzw. „Kontrolle“ thematisiert werden. [1, S. 109ff]

Entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre

Entscheidungsorientierte Varianten der Betriebswirtschaftslehre sehen in Prozessen bzw. Techniken der Entscheidung über den möglichst optimierten Ressourceneinsatz als Kern der erfolgreichen betrieblichen Praxis. Bei Entscheidungen wird von einem Zielbündel ausgegangen, das neben den Zielen der Eigentümer auch Ziele von Anspruchsgruppen umfasst. In diesem Zusammenhang ist eine Problemsituation, über die zu entscheiden ist, von Beobachtern zu identifizieren und kommunikativ als bearbeitungswürdige Entscheidungsnotwendigkeit zu markieren. [7, S. 168]

Für eine praxisorientierte akademische Ausbildung ist es von elementarer Bedeutung, dass sie primär Problemlösungskompetenz und nicht Faktenwissen vermittelt. [9, S. 140] Eine praxisorientierte akademische Lehre des guten Entscheidens berücksichtigt in starkem Maße das effektive Handhaben schlecht definierter, offener Probleme. [6] Die Anforderungen zur Problemlösung sind dabei zunächst nicht absehbar und erst durch die Ereignisfolgen des an Theorien, Prinzipien und Ideen orientierten Denkens zu erkennen. Da es keine vorab definierte Handlungsregel gibt, hilft reproduktives Denken nicht weiter. Benötigt werden von bekannten Methoden in begründeter Weise abweichende und theorieorientiert begründbare Ideen bzw. Prinzipien. [11, S. 15 ff.] Theorien sind quasi Prüfinstanzen für aufkommende Ideen und erzeugen Wissen. [10 S. 54]

Informationsbasis von Entscheidungen

Werden Entscheidungssituationen gemäß ihrer Informationsbasis eingeteilt, können Entscheidungen unter Sicherheit, Unsicherheit, Risiko, Ungewissheit und Unwissen unterschieden werden. Bei Entscheidungen unter Sicherheit sind die Zielvorstellungen, die ergreifbaren Alternativen, die sicher eintretenden Handlungsfolgen bei Ergreifen der einzelnen Alternativen sowie die zukünftig eintretende Umweltsituation gut bekannt. Diese Sicherheiten sind allerdings in der Praxis kaum zu finden. Praxisnäher sind Entscheidungen unter Risiko. Hier sind zukünftige Umweltsituationen zwar bekannt, aber der Eintritt einer bestimmten Umweltsituation kann nur mit einer gewissen Eintrittswahrscheinlichkeit (μ) aufgrund statistischer Untersuchungen mit repräsentativen Stichproben vorausgesagt werden. Sollten sich überhaupt keine Angaben über die Eintrittswahrscheinlichkeit (μ) der potenziellen Umweltsituationen angeben lassen und daher deren mögliches Eintreten als gleich wahrscheinlich erscheinen, handelt es sich um eine Entscheidung unter Ungewissheit. [3. S. 197 ff]

Je mehr Komponenten der Entscheidungssituation aktuell unbekannt sind, desto eher ist eine Entscheidung von Unwissen gegeben. Unwissen ist kein Nichtwissen, sondern ein partielles Wissen: Handlungsfolgen von betriebswirtschaftlichen Entscheidungen ziehen oft positive und negative Wirkungen nach sich, sodass nach einem vertretbaren Ausgleich zwischen beiden Effekten zu suchen ist. [9, S. 88] Bei dieser Suche ist es hilfreich, Entscheidungen mit den maximal möglichen Informationen erst zu treffen, wenn bei weiterem Nichtentscheid im Vergleich zum Entscheid die Alternativen sinken oder die Kosten steigen. [5, S. 47 – 52]

Aber es bleibt auch dann dabei, dass Entscheidungen aufgrund von Möglichkeiten zu treffen sind, die zwar gemäß Plausibilitätserwägungen verwirklicht werden könnten, aber nicht so eintreffen werden. [2, S. 5f.] Daher bezieht sich die mit dem Entscheiden verbundene Verantwortung primär auf die Gestaltung des Entscheidungsprozesses und dabei insbesondere auf die tatsächlich verfügbaren Alternativen. [8, S. 258]

Zusammenfassung
Die Betriebswirtschaftslehre ist eine praxisorientierte Wissenschaft, die möglichst allgemein anwendbare Methoden, Instrumente oder Konzepte zur Entscheidung über betriebswirtschaftliche Problemstellungen erarbeitet. Die mit einer Entscheidung übernommene Verantwortung bezieht sich auf die Gestaltung des Entscheidungsfindung und dabei insbesondere auf die tatsächlich verfügbaren Alternativen. Die (gemeinsame) Modellierung einer Entscheidungssituation schlägt auf die Möglichkeiten der Interpretation der Entscheidungsgrundlagen durch. Immer wieder zeigen sich Theorie und Praxis als zwei sich gegenseitig bedingende Polare einer tragfähigen Berufsqualifizierung („Employability“), die durch eine praxisorientierte Betriebswirtschaftslehre angestrebt wird.


Eine detailreichere Fassung dieses Beitrag ist zu finden unter: https://bit.ly/2W637Ks

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[1] Vgl.: Becker, T./Kaiser-Jovy, S. (2016): Zur Fragwürdigkeit von Praxisorientierung im Rahmen der Hochschulbildung; in: die hochschule. journal für wissenschaft und bildung 2/2016, S. 104 – 113.

[2] Vgl.: Hicks, J. (1969): A Theory of Economic History, Oxford: Clarendon Press

[3] Vgl.: Knight, F. H. (1964): Risk, Uncertainty, and Profit, New York: Sentry Press, S. 197 ff. (1. Aufl., Boston/New York: Houghton Mifflin Co., The Riverside Press, 1921).

[4] Vgl.: Mintzberg, H. & Gosling, J. (2002): Educating Managers beyond Borders; in: Academy of Management Learning and Education, Vol. 1, No. 1 (Sept. 2002), 64–76.

[5] Vgl.: Poppendieck, M./Poppendieck, T. (2003): Lean Software Development: An Agile Toolkit, Boston et al: Addison- Wesley, S. 47 – 52

[6] Vgl.: Reitmann, W. R. (1964): Heuristic Decision Procedures, Open Constraints and the Structure of Ill-Defined Problems, in: Shelly, M. W./Bryan, G. L. (Eds): Human Judgements and Optimality, New York et al.: Wiley, S. 282 – 315.

[7] Vgl.: Rüegg-Stürm, J./Grand, S. (2019): Das St. Galler Management-Modell. Management in einer komplexen Welt, Bern: Haupt

[8] Vgl.: Sen, A. (2009): Die Idee der Gerechtigkeit. München: C.H.Beck

[9] Vgl.: Schwenker, B./Albers, S./Ballwieser, W./Raffel, T./Weißenberger, B. (2021): Erfolgsfaktor BWL. Was sie leistet und warum wir sie brauchen, München: Vahlen

[10] Vgl.: Wohland, G./Huther-Fries, J./Wiemeyer, M./Wilmes, J. (2004): Vom Wissen zum Können. Merkmale dynamikrobuster Höchstleistung. Eine empirische Untersuchung auf systemtheoretischer Basis, https://dynamikrobust.com/wp-content/uploads/2018/05/Studie-Merkmale-dynamikrobuster-Hoechstleistung.pdf, download 09.12.2021

[11] Vgl.: Wohland, G./Wiemayer, M. (2012): Denkwerkzeuge der Höchstleister, 3., akual. u. erw. Aufl., Lüneburg: Unibuch

 

Spielregeln und Spielzüge

Von Führungskräften wird heute gefordert, dass ihre Handlungen zugleich wirtschaftlich und ethisch zu rechtfertigen sind. Die ist möglich, wenn zwischen der Wirtschaftsordnung (Spielregeln) und den Handlungen (Spielzügen) unter­schieden wird. Die wirtschaftliche Rechtfertigung kann man dann auf die Spiel­züge beziehen und die ethische Rechtfertigung auf die Spielregeln. Die heute lautstark vorgetragene Forderung nach mehr Ethik ist dann anhand durchsetz­barer Korrekturen der Wirtschaftsordnung möglich.

Anreizethik

Die Gültigkeit einer Wirtschaftsordnung setzt einen allgemeinen Konsens über die Spielregeln und die Durchsetzungsinstanzen (Justiz, Kartellamt) voraus. Dann regelt sie den Wettbewerb und nötigt Anbieter, sich an den Interessen der Nachfrager zu orientieren und dabei auf einen effizienten Ressourceneinsatz zu achten. Das individuelle Handeln der Marktteilnehmer orientiert sich also in­nerhalb der einrahmenden Wirtschaftsordnung an den darin befindlichen Anreizen (z. B. Gewinn und Liquidität), daher spricht man von einer Anreizethik. Mit ihr werden wirtschaftliche und ethische Handlungen zugleich realisierbar.

Folgenreiche Frage

Ethisch unerwünschte Handlungen (Spielzüge) werden dann allein auf Defizite der Wirtschaftsordnung (Spielregeln) zurückgeführt. Und Verbesserungen sind allein durch begründete, vereinbarte Korrekturen der Wirtschaftsordnung möglich. Die Geltung der vereinbarten Spielregeln verlangt von den Beteiligten einen allgemeinen Konsens, der sich auch auf die Durchsetzungsinstanzen (Schiedsrichter, z. B. die Justiz oder das Kartellamt) erstreckt, die regelkonform alle Handlungen sanktionieren, die die Spielregeln in irgendeiner Form missachten. Die folgenreiche Frage lautet also: Auf welcher Basis ruht der nötige Konsens über die Geltung von Spielregeln, Spielzügen und regelkonform sanktionierenden Schiedsrichtern?

Der freiheitliche Staat kann diese Basis nicht sein. Er lebt davon, dass sich die gewährten Freiheiten aus der moralischen Substanz des einzelnen Akteurs und aus der Homogenität der Gesellschaft selber reguliert. Ein Staat, der dies versucht, würde er in einen Totalitätsanspruch verfallen und könnte nicht weiter die Ordnung der Freiheit sein. [1] Man schaue einfach einmal nach China. 

Hilfreiche Antwort

Die entscheidungsorientierte BWL zeigt Möglichkeiten der Ableitung eines von den Prozessbeteiligten getragenen Konsenses. Statt nur im Interesse der Anteilseigner eine Steigerung des Marktwertes des Eigenkapitals zu erreichen (Shareholder Value) werden Methoden für mehrkriteriellen Mehrpersonen-Entscheidungen entwickelt, die auch heterogene Interessen von internen und externen Anspruchsgruppen berücksichtigen (Stakeholder Value).

Damit können sowohl die Interessen (bzw. Ziele) von Eigen- und Fremd­kapitalgebern, die zumeist auf eine kurzfristige Rentabilität zur Abdeckung des unternehmerischen Risikos konzentriert sind, als auch die Interessen der Anspruchsgruppen, die eher auf eine Beschränkung des wirtschaftenden Akteurs oder auf eine langfristige Teilhabe an den Verfügungsrechten des erwirtschaf­teten Erfolgs bezogen sind, in die Konsensfindung integriert werden. Es handelt sich dabei um ein Problem der gut dokumentierten Mehrziel-Entscheidung [2].

Mit Kenntnissen aus der entscheidungsorientierten BWL und ihren Methoden können Führungskräfte in der Wirtschaft ihre Handlungen mit der Erwartung der langfristig optimierten Rendite begründen, denn getroffene Entscheidungen werden für Stakeholder (insb. Kunden und Lieferanten) nachvollziehbar und damit tragfähig. Spielregeln und Spielzüge werden so wirtschaftlich und ethisch gerechtfertigt.

 

Zusammenfassung
Die Geltung vereinbarter Spielregeln verlangt einen allgemeinen Konsens, der sich auch auf regelkonforme Durchsetzungsinstanzen erstreckt. Die entscheidungsorientierte BWL bietet Möglichkeiten der Herleitung eines von den Prozessbeteiligten getragenen Konsenses. Dabei werden die heterogenen Ziele von Kapitalgeber und Anspruchsgruppen integriert. So werden tragfähige Lösungen möglich.

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[1] Böckenförde, E.-W. (1967): Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation. Das Skript zu einem Ferienseminar wurde 1967 in der Festschrift für Forsthoff zu dessen 65. Geburtstag, „Säkularisation und Utopie“, veröffentlicht (S. 75-94). Dieser Text wiederum findet sich in: Beckenförde, E-W. (1991): Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 92-113, hier S. 112f.

[2] Rommelfanger, H. J./Eickemeier, S. H. (2002): Entscheidungstheorie. Klassische Konzepte und Fuzzy-Erweiterungen, Berlin/Heidelberg: Springe, S. 133 ff.