Lesezeit: 7 min.   Keine Zeit? Am Ende gibt’s eine Zusammenfassung

Anwendungsorientierung

Entscheidungen über die optimierte organisatorische Wertschöpfung werden oft von mehreren Personen getroffen. Dabei gilt es, sich auf eine gemeinsame Sicht der Ausgangslage, der Randbedingungen und der Minimalbedingungen einer als „gut“ verstandenen Problemlösung zu verständigen. Durch das seit langem bekannten Arrows Unmöglichkeitstheorem weiß man, dass es schon ab drei Alternativen keinen Formalismus gibt, der individuelle Präferenzen konsistent in eine gemeinsamen Präferenzordnung überführt.

 

Unmöglichkeit mit Folgen

Das Errechnen eines optimierten Ergebnisses kann nur der (mathematische) Formalismus vollziehen, der von den Entscheidern erwählt wurde. Da es dafür mehr als zwei gibt, gilt das Unmöglichkeitstheorem auch hinsichtlich der Wahl von einem Formalismus, mit dem ein Ergebnis errechnet werden soll. Daher haben die Entscheider die zu benutzenden Kriterien für einen guten Entscheidungsprozess und für ein als „richtig“ beurteiltes Resultat selber zu definieren, wobei das Urteil über die Richtigkeit der Entscheidung nicht notwendigerweise ein richtiges bzw. wahres Urteil ist. Auf jeden Fall ergibt sich klar und deutlich: Gemeinsame Entscheidungen können nur ausgehandelt und keinesfalls ausgerechnet werden! Kommunikativ auszuhandeln ist in gemeinsamen Entscheidungsprozessen letztlich das Zustandekommen eigener und fremder Beobachtungen, mit denen Ergebnisse erzielt (z. B. Reportings verfasst), Erkenntnisse gewonnen und individuelle Präferenzen getroffen werden.

 

Beobachtung

Möchte die entscheidungsorientierte BWL anwendungsorientiert sein, dann hat sie einen Fokus auf das Gewebe von aufeinander verweisenden (entscheidungsfördernden) Kommunikationen zu legen und auf der Erkenntnisfigur des Beobachters aufzubauen. Zur Dokumentation von Operationen der Beobachtung, mit der etwas von anderem unterschieden wird und dieser Unterschied reproduzierbar wird, verwende ich die Notation des Formkalküls von George Spencer-Brown. Mit ihm kann man die (kognitiven) Unterscheidungen anschreiben, die ein Beobachter vollzogen hat um etwas zu bezeichnen, das er von anderem unterscheidet.

 

Entscheidungsorientierte BWL

Auch der Sachzusammenhang der entscheidungsorientierten BWL kann mit dem Formkalkül beschrieben werden, indem von Beobachtern getroffene Unterscheidungen in eine mathematische Formulierung einer Operation (hier: entscheidungsorientierte BWL) überführt werden, die ein Phänomen (hier: nutzenstiftende Wertschöpfung) reproduziert. Dabei wird jeder verwendete Begriff in einen überprüfbaren Zusammenhang weiterer Begriffe gestellt und die Struktur eines Sachverhalts nahezu simultan dargestellt, ohne an eine Sequenz innerhalb einer Textpassage aus einer Fachpublikation gebunden zu sein.

Abb. 1: Entscheidungsorientierte BWL mit dem Frmenkalkül

 

Beobachtungen und ihre Ergebnisse

Die Notationen des Formkalküls sind von rechts nach links zu lesen. Anhand der gezeigten vier Gleichungen können Beobachtungen der entscheidungsorientierten BWL beschrieben werden. Grundsätzlich geht es um Erkenntnisse über die Gestaltung von Wertschöpfungsprozessen, die für (potentielle) Kunden einen Nutzen stiften. Dies wird in Ausdruck 1 notiert, wobei ganz recht durch das Fragezeichen offenbleibt, für wen genau der Nutzen erbracht wird. Die können z. B. Abnehmen oder Zulieferer sein, der Staat oder Kooperationspartner einer Wertschöpfungskette.

Auf jeden Fall passiert die zu verantwortende Wertschöpfung in Organisationen, dies ist in Ausdruck 2 notiert. Was Organisationen zusammenhält sind Kommunikationen, insbesondere in/von Entscheidungen. Dies besagt Notation 3. Zusammen genommen ergibt sich Notation 4, die folgendermaßen zu lesen: Die anwendungsorientierte BWL befasst sich mit Prozessen der Wertschöpfung in Organisationen, die auf das Generieren von Nutzen hin gestaltet werden und im Kern aus Kommunikationen in/von Entscheidungen bestehen. Hierbei bleibt zunächst offen, für wen der Nutzen gedacht ist.

 

Ausgehandeltes Verständnis

Die Aussprache über das jeweilige Zustandekommen eigener und fremder Beobachtungen der entscheidungsorientierten BWL ermöglicht einen tiefgründigen Austausch von Erkenntnissen, Standpunkten und Meinungen zwischen den unterschiedlichsten Vertretern dieser Fachrichtung. Dies ist nötig, denn nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie werden Entscheidungen über die optimierte organisatorische Wertschöpfung zumeist von mehreren Personen getroffen. Dabei gilt es, sich auf eine gemeinsame Sicht der Ausgangslage, der Randbedingungen und der Minimalbedingungen einer als „gut“ verstandenen Problemlösung zu verständigen. Dieses Verständnis kann eben nur ausgehandelt und keinesfalls ausgerechnet werden.

 

Dieser Beitrag ist mit Quellenangaben  >> Hier << abgelegt. 

 

Zusammenfassung

Entscheidungen werden oft von mehreren Personen getroffen. Dabei gibt es schon ab drei Alternativen keinen Formalismus, der individuelle Präferenzen konsistent in eine gemeinsamen Präferenzordnung überführt. Daher können gemeinsame Entscheidungen nur ausgehandelt und keinesfalls ausgerechnet werden! Dies ist der Kern der entscheidungsorientierte BWL. Sie befasst sich mit Prozessen der Wertschöpfung in Organisationen, die auf das Generieren von Nutzen hin gestaltet werden und im Kern aus Kommunikationen in/von Entscheidungen bestehen. Hierbei bleibt zunächst offen, für wen der Nutzen gedacht ist.

Theorieorientierte Praxis und praxisorientierte Theorie

Lesezeit: 6 min.   Keine Zeit? Am Ende gibt’s eine Zusammenfassung

  

Theorieorientierte Praxis und praxisorientierte Theorie

Praktisches Tun ist auch ein Ausfluss vorherigen Denkens und abstrahierende Reflexion bezieht sich stets auch auf das konkrete Umsetzen in der Praxis. Erfolgsversprechend ist also eine reflektierte Handlungsorientierung, die gegebene Rahmenbedingungen beachtet und dient einem zweckdienlich ist (Fit for Purpose?)

Insofern sind Praxis und Theorie zwei Schwestern, die sich eigentlich gut vertragen könnten. Eigentlich. Praktikern und Pragmatikern und bleibt diese gute Verträglichkeit verborgen. Sie richten ihr Tun an bekannten(!) situativen Gegebenheiten aus und stellen das praktische Handeln über die theoretische Vernunft. Sie benutzen eine Theorie nur dann, wenn ihre praktischen Konsequenzen zu dem von ihnen erwünschten Ziel führen. Das nennen Sie dann „Praxisorientierung“ und meinen damit eine möglichst große Zielerreichung, ohne sich dabei um (zumindest kurzfristig) unveränderliche Prinzipien zu kümmern.

Konkrete Handlungsorientierung

Praktiker und Pragmatiker orientieren sich eher an konkretisierenden Handlungen, die vornehmlich zur Realisierung von erwünschten Ergebnissen vollzogen werden. Sie bemühen sich daher kaum um grundlegende Gesetzmäßigkeiten, die anderen Gesetzmäßigkeiten übergeordnet sind. Ein eingefleischter Praktiker hält sich vornehmlich an die selbst erlebte Praxis, die er jeder Theorie vorzieht. Ein Pragmatiker hingegen ist jemand, der in der Praxis steht und dabei ziel- und lösungsorientiert denkt und handelt.

Praktiker und Pragmatiker können mit ihrem Vorgehen durchaus Erfolge erzielen. Aber sie können zumeist kaum erkennen, dass der Erfolg ihres Tuns von der Gültigkeit bestimmter Gegebenheiten abhängt, also kontextabhängig ist. Wenn das Problem darin besteht, das zwei Bauernsöhne eine Kuh erben, dann lautet die praxisorientierte Lösung: Jeder bekommt eine Hälfte der geerbten Kuh.

Abstrahierende (Selbst)Reflexion

Theoretiker hingegen orientieren sich an eigenen und dokumentierten fremden abstrahierenden Denkvorgängen, die vornehmlich zum Aufbau von Erkenntnissen vollzogen werden. Die Gültigkeit der dabei abgeleiteten Erkenntnisse sind ebenfalls abhängig von der Existenz und der Wirkung des jeweiligen Kontextes. Aber nützliche und verunmöglichende Kontexte werden mit in die Überlegungen einbezogen! Wenn das Problem darin besteht, das zwei Bauernsöhne eine Kuh erben, dann lautet die theorieorientierte Lösung: Die Aufteilung von Kosten und Nutzen erfolgt zu gleichen Teilen. So kann man die Kuh zerteilen, dann hat man kurzfristig ein Ergebnis. Ebenso gut kann man aber langfristig denken, sich Aufwände und Erträge teilen und die Kuh melken und kalben lassen; damit ergeben sich viele Möglichkeiten, von denen die meisten einen höheren Gesamtnutzen erwarten lassen als die reinpraxisorientierte Lösung.

Reflektierte Handlungsorientierung

In der Praxis werden konkrete Ergebnisse erzielt, indem Handlungen aus der Menge der an sich möglichen Handlungen in begründeter ausgewählt und vollzogen werden. Die Menge der Möglichkeiten und die Begründbarkeit werden allerding durch theorieorientierte Erkenntnisse deutlich verbessert. Weil dies so ist, sind und bleiben die Praxis und die Theorie zwei Schwestern, die sich gut vertragen!

Zur Dokumentation der Denkoperationen, die eine Anwendungsorientierung von anderem unterscheiden und sie als den Unterschied reproduzieren, den Anwendungsorientierung macht, verwende ich die Notation des Formkalküls von George Spencer-Brown [1]. Mit ihr kann ich die (kognitiven) Unterscheidungen anschreiben, die ich als Beobachter meiner Gedanken getroffen habe um Zustände zu bezeichnen, die ich von anderen Zuständen unterscheide. Die obigen Notationen mit dem Formkalkül sind folgendermaßen zu lesen:

Die Anwenderorientierung

1)  unterscheidet zwischen Praxis und Theorie

2)  bedarf des wechselseitigen Bezugs von Praxis und Theorie

3)  versteht praktische Handlungen als Ausfluss von Theorie und bezieht Theorie stets auf die konkrete Umsetzung in der Praxis

4)  jede reflektierte Handlungsorientierung hat gegebene Rahmenbedingungen zu beachten und dient einem Zweck

Kurzum: Theorieorientierte Praxis und praxisorientierte Theorie sind zwei sich gut vertragende Schwestern! Beide kommen immer zusammen zu Besuch.

Anwendungsorientierte Hochschulen

Genau hier knüpfen denn auch Studienangebote von anwendungsorientierten akademischen Hochschulen an. Sie orientieren sich stärker als Universitäten an den Problemstellungen der (beruflichen) Praxis. Anwendungsorientierte Studienangebote bieten vielfältige Gelegenheiten zum Ausbau der Fähigkeit, verfügbare theoretische Inhalte gemäß ihrer Zweckdienlichkeit in der Praxis des Berufsalltags nutzbar zu machen. Eigene und fremde praktische Handlungen werden im Verbund mit theoretischen Erkenntnissen ziel- und lösungsorientiert konkret angewandt.

Anwendungsorientierte Studienangebote sind im Kern ein Bemühen darum, die Sinnhaftigkeit der vermittelten theoretisch begründeten Inhalte und ihre mitunter komplexen Wechselwirkungen zueinander begreifbar und diesbezüglich hilfreiche Methoden konkret im Einzelfall anwendbar werden zu lassen. Genau dafür aber braucht es einen permanenten Austausch in der direkten Begegnung auf dem Marktplatz der Meinungen, Interessen und Erkenntnissen (Agora).

Anwendungsorientierte akademische Lehre

Die anwendungsorientierte akademische Lehre ist etwas grundständig Anderes als das bloße Bereitstellen vorformatierter digitaler Lern-Units, die schön voneinander getrennt je nach aktuellem Bedarf und derzeitigem Zahlungsvermögen auf digitalen Plattformen adressiert und abgerufen werden können. Das scheitert neben dem direkten Erleben schon daran, dass sich Probleme in der Praxis in keinster Weise an Trennungen des menschlichen Geistes orientieren.

 

In der anwendungsorientierten akademischen Lehre geht es um das begründete Generieren zweckdienlicher Handlungen und Entscheidungen zwischen „Logik und Psycho­Logik“. In ergebnisoffenen Formen der (moderierten) Koordination von Einzelbeiträgen gilt es, Lösungswege für Praxisprobleme zu erkunden. Orientiert am jeweiligen Ziel sind mögliche Handlungsweisen zu erarbeiten und anhand erwartbarer Erfolgswirkungen zu beurteilen.

 

Quantitatives Denken

Anwendungsorientierte Lehrangebote bereiten hilfreiche verfügbare Zahlen sinnerfassend und adressatenorientiert auf und arbeiten ihre problemwirksame Bedeutung für den praktischen Erfolg heraus. Vielfach sind verfügbare Informationen unscharf und/oder unsicher. Daher ist oftmals statt einer optimalen Lösung ein zufriedenstellendes Vorgehen (Satisficing) anzustreben, das möglichst viele der zu Anfang formulierten Ansprüche befriedig.

 

Durch dieses grundlegende Vorgehen wird die anwendungsorientierte akademische Lehre auf eine begründete Basis gestellt und dabei zugleich die Rationalitätsdefizite im Vorgehen begrenzt, die aufgrund bestehender kognitiver Grenzen und der Tendenz zu Opportunismus der Teilnehmenden kaum zu vermeiden sind. Es wird in Zukunft immer stärker darauf ankommen, Standards in der Interpretation von Zahlen, Daten und Informationen zu entwickeln, über die in Zeiten der permanenten Veränderungen flexibel und verlässlich mit internen und externen Stakeholdern vertrauensfördernd kommuniziert werden kann.

 

Erfolgsformate der direkten Begegnung

Eine anwendungsorientierte akademische Lehre hat zu beachten, dass die meisten Erfolgsformate in der direkten Begegnung stattfinden. Direkte soziale Interaktion und wechselseitiges Irritieren ist ein gemeinsamer Nenner von kurzen Lerneinheiten durch Barometer, Brand Sprints, Brainwarming, Buzz-Groups (“Flüstergruppen”), Draw Toast, Fermieren, Fishbowl, Five-to-Fold, Genuine Contact, Gruppenpuzzle (“Jigsaw-Methode“), Kugellager, Marktplatz, Pro-Contra-Debatte, Stationengespräche, Take home message / Kernsätze, Wicked Question Game. Für längere Methoden wie After Action Review, Appreciative Inquiry, Art of Hosting, Design Thinking, Dragon Dreaming, Dynamic Facilitation, Open Space, Thinking Environment bzw. Thinking Circle, Wisdom Council, World Café oder Zukunftswerkstatt gilt das Gleiche.

 

Eine wirksame anwendungsorientierte akademische Lehre ist ein Angebot zum Erleben eines Ereignisses, das sich vom Alltag so sehr unterscheidet, dass es lange im Gedächtnis bleibt. Dabei geht es immer auch um das Faszinosum des Haptischen: Begreifen (= Verständnis) ist ohne das Begreifen (Berührtwerden) kaum möglich, zumindest keinesfalls erleichtert. Das physische Zusammensetzen fördert das geistige Auseinandersetzen mit einem Thema, einer Aufgabe oder einer Problemstellung.

 

Digitale Lehre hat Grenzen

Die anwendungsorientierte akademische Lehre darf nicht durch eine instrumentelle Digitalisierung zu einer digitalen Plattform des Bereitstellens von vorformatierten Lern-Units verkommen, die voneinander getrennt angeboten werden. Das würde die feinen Unterschiede zwischen durchschnittliche Lerneinheiten einerseits und tiefenwirksamer, faszinierender Lehre vollkommen missachten.

 

Eine gute anwendungsorientierte akademische Lehre benötigt durchgehend die Chance, spontan zu reagieren, wenn man in ratlose oder gar gleichgültige Gesichter sieht. Sie wird durch die Modulations-Möglichkeiten der Stimme des Lehrenden gefördert, die bei digitaler Übertragung unmöglich ist oder zumindest grotesk verzerrt erfolgt. Sie benötigt durchgehend Möglichkeiten, aus dem aktuellen Geschehen heraus sinnvolle Pausen zu setzen. So kann sich der Lehrstoff setzen und aus einem Informationswirbel allmählich Substanz werden. Arbeiten Menschen gemeinsam an relevanten Fragen oder Aufgabenstellungen, entstehen neues Wissen und Ideen besonders leicht. Der Wert und die Wirkung des Lernens in der direkten Begegnung werden von denen verkannt, die verstärkt auf digitale Lehrformen setzen!

Zusammenfassung

Die Praxis und die Theorie sind zwei Schwestern, die sich gut miteinander vertragen. Reine Praktiker können durchaus Erfolge erzielen. Aber sie können die Kontextabhängigkeit ihres Tuns nicht erkennen. Dazu ist abstrahierendes Denken nötig, in dem u.a. auch nützliche und verunmöglichende Kontexte mit einbezogen werden. Eine gute anwendungsorientierte akademische Lehre berücksichtigt dies und bemüht sich um Lernerlebnisse, die erlebbare Ereignisse sind. Sie bleiben im Gedächtnis, weil sie sich vom Alltag sehr unterscheiden. Es geht um Begreifen (= Verständnis) durch Begreifen (Berührtwerden), um physisches Zusammensetzen zur Förderung des geistigen Auseinandersetzens. Weil das nicht mit dem Konsum von Facebook geht, sondern das Erleben von Face to Face bedarf, sollte die anwendungsorientierte akademische Lehre keinesfalls verstärkt auf digitale Lehrformen setzen!

[1]  Spencer-Brown, G. (1969): Laws of Form, London: Allen & Unwin. Erläuternd dazu Schönwälder-Kuntze, T./Wille, K./Hölscher, Th.( 2009): George Spencer Brown. Eine Einführung in die “Laws of Form”, 2., überarb. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag.

 

Unentscheidbares entscheiden

Lesezeit: 10 min.   Keine Zeit? Am Ende gibt’s eine Zusammenfassung

 

Unentscheidbares entscheiden

Entscheidungen sind oft unangenehm, weil keine der gefundenen Lösungsalternativen nachweislich richtig ist. Oft werden Entscheidungen in Gruppen getroffen und niemand darf sich damit blamieren, sich womöglich falsch festgelegt zu haben. Was tun?

Mit dem Tetralemma werden kontrovers diskutierte alternative Meinungen, Haltungen und Entscheidungen sinnvoll abgewogen, um neuartige Ideen für eine gelingende Zukunft zu erkunden.

 

Beispielhafte Fragestellung

Sollen wir zukünftig die berufliche Weiterbildung vollkommen auf Distance Learning umstellen und diesbezügliche Lehr-Lern-Arrangements entwickeln und dazugehörige technische Infrastrukturen aufbauen? Oder sollen wir „nach Corona“ zum dem zurückkehren, was bis zum Lockdown des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens die Normalität der Weiterbildung war?

Auf diese Fragen gibt es keine einfach „richtige“ Antwort. Denn jede Antwort in die eine oder die andere Richtung lässt viele Kollateralschäden erwarten, die dauerhaft tragbar sein dürften. Tragfähige Antworten auf diese Frage entziehen sich der klassischen zweiwertigen Logik des Entweder/Oder und bedürfen der Erkundung eines dritten, vierten oder gar fünften Wertes.

 

Jenseits der traditionellen Logik

Das systemtheoretische Denken hilft bei der Beobachtung einer Problematik und bei der Herleitung möglicher Lösungsalternativen. Dabei werden die Expertise der Problemlöser und das Prozessverständnis des Beratenden zueinander in Beziehung gesetzt, um neuartige Erkenntnisse für das Management von (marktfähigen) Organisationen zu entwickeln.

In systemorientierten Beratungspraxis wird für unentscheidbare Fragen oft das Tetralemma als Reflexionsansatz [6] angewandt. Dabei werden im Kern verschiedene Perspektiven nacheinander reflektiert. Anhand bestimmter Fragen werden zusätzliche Möglichkeiten erkundet, die über die eine Variante und die andere Variante hinaus noch angedacht, akzeptiert und umgesetzt werden könnten.

 

Das Trilemma durchlaufen

Bei der Arbeit mit dem Trilemma werden folgende Arbeitsschritte durchlaufen:

1.  Zunächst wird der eine Lösungsvorschlag gut ausformuliert (die eine Variante). So könnte man die berufliche Weiterbildung auf Distance Learning umstellen, dafür geeignete Formate entwickeln und eine passende technische Infrastruktur aufbauen.

2.  Danach wird der andere Lösungsvorschlag in vergleichbarer Weise ausformuliert (die andere Variante). So könnte man später zur bekannten „normalen“ Weiterbildung zurückkehren.

3.  Nun werden Möglichkeiten der gleichzeitigen Verbindung guter Komponenten beider Varianten erkundet (beide Varianten zugleich). So könnte man z. B. standardisierte Grundlagen in modularen podcasts anbieten und spezielle Vertiefungen in Präsenztreffen einüben.

4.  Anschließend wird der implizit vorausgesetzte Kontext bedacht, der das Denken über das Problem und seiner Lösung beeinflusst (keine von beiden). Hierbeiden entstehen oft neuartige Sichtweisen und Überlegungen.

So könnte man erkennen, dass für die berufliche Weiterbildung von Führungskräften die Vermittlung von Inhalten weniger bedeutsam ist, als eine vertrauensvolle, partnerschaftliche Reflexion der erlebten Praxis aus der Sicht gleichwertiger und unterschiedlicher Bildungs- und Erfahrungshintergründen ([2] S. 254f.)

In vielen Fällen reichen diese Schritte aus, um die eigenen Gedanken zu ordnen, eigenen Gefühle zu erkennen eigene Positionen zu formulieren. Streng zu beachten ist allerdings, jedweden Kompromiss zu vermeiden. Sollte das dadurch erlangte Ergebnis nicht ausreichen, erfolgt Schritt 5:

5.  Es wird gefragt, mit welchen Gedankengängen die gewohnten Abgrenzungen und Unterscheidungen zwischen gut/schlecht, richtig/falsch, tragbar/untragbar und eben digital/analog veränderbar sind (das alles nicht). Dadurch ergibt sich ein offener Weg des Entwickelns bislang unbedachter Möglichkeiten des Durchdenkens der problematischen Situation. Das ist oftmals Gedanken, die man sich (aus den verschiedensten Gründen) bisher nicht erlaubt hat. Hier ist man ausdrücklich dazu eingeladen, solche Gedanken zuzulassen.

Wenn eine transferstarke berufliche Weiterbildung in erheblichem Maße auf gemeinsame Reflexionen der erlebten Praxis aus unterschiedlichen Sichtweisen aufbaut, dann braucht es methodischer Formate und räumliche Architekturen, die genau dafür zu entwickeln sind.

 

Das zusätzliche „X“

Oftmals ergeben die in den Schritten 3 und 4 skizzierten Positionen in ihrer Abwägung in Schritt 5 Anknüpfungspunkte für einen tragfähigen Weg in die Zukunft. Dies wird durch eine letzte Frage weiter gefördert, die auf Heidegger [2] zurückgeht: Was gilt es noch zu entbergen? (das „X“)

Das X steht für die grundsätzlich vorhandene eigendynamische Emergenz der Wirklichkeit. Daher sind alle verwendeten Unterscheidungen wie Kausalität/Zufall, dazu gehört dazu/gehört nicht dazu oder Trivialität/Nichttrivialität stets zu hinterfragen [1] und sich bewusst zu bleiben, dass jede hergeleitete Lösungsvariante keinesfalls eine ultimative Lösung sein kann [3].

So könnte man z.B. zukünftig bei der Beurteilung einer konkreten Weiterbildungsmaßnahme vollkommen von den erstellten Urkunden und Noten absehen und stattdessen die Resonanz beachten, die eine Teilnahme an der Maßnahme in der beruflichen Praxis hervorruft und dadurch einen erkennbaren Nutzen bewirkt.

 

Die Form der Problemlösung

Als Berater begleite ich solche Denkbewegungen anhand des Trilemmas. Daher benutzte ich die Notation des Formkalküls [5] als Notizen über Formen des Denkens hin zu einer Problemlösung.

Von rechts nach links sind die Komponenten zunehmend bestimmt und von links nach rechts zunehmend unbestimmt. Daher sind die Messgrößen links neben dem Gleichheitszeichen platziert und das Umfeld ganz rechts.

Die beiden recht gut bestimmbaren Lösungs-Varianten sind links neben dem Gleichheitszeichen positioniert. Bezieht man beide aufeinander, kommt etwas in den Sinn, was etwas darüber hinausreicht. Allerdings bleibt immer zu beachten, dass ein zusätzliches, noch nicht entdecktes und daher vollkommen unbestimmtes „X“ auf der rechten Seite auch noch existiert.

 

Gemeinsame Problemlösung

Das gedankliche Durchschreiten des vom Tetralemma aufgezeigten Weges legt die Prämissen, Interessen, Prinzipien und ethische Werte offen, die auf das Durchdenken einer Problematik und ihren Lösungsvarianten einwirken. In der Gruppe der Problemlöser kommt es beim Begehen dieses Weges zu einer kommunikativen Verständigung über die Problematik und über ihre Lösungsmöglichkeiten (Sensemaking [7]). Die bewusste Gestaltung solcher Prozesse ist der Erfolgsfaktor bei der Steuerung von arbeitsteiligen Wertschöpfungsprozessen [4].

 

Zusammenfassung

In Entscheidungsprozessen können mit dem Tetralemma kontrovers diskutierte Alternativen abgewogen und neue Ideen erkundet werden. Dabei werden auch der implizite Kontext des Denkens und die dabei gewohnheitsmäßig benutzen Denk- und Begründungsstrukturen berücksichtigt. Zugleich werden wirksame Prämissen, Interessen, Prinzipien und ethische Werte offengelegt, die auf das Erkunden einer Problematik und ihren Lösungsvarianten einwirken.

 

[1] Gutbrod A. (2010): Kommentar zur Systemischen Beratung anlässlich des Kongresses X-Orga-nisationen; in: OrganisationsEntwicklung 1/2010, S. 97-98

[2]  Heidegger, M. (1943): Vom Wesen der Wahrheit. Frankfurt a. M.: Klostermann

[3] Jumpertz, S./Bußmann, N. (2010): Aufbruch in die neue Gegenwart; in managerSeminare, 02/2010, S. 52 – 55

[4] Rüegg-Stürm, J./Grand, S. (2019): Das St. Galler Management-Modell. Management in einer komplexen Welt, Bern: Haupt

[5]  Spencer-Brown, G. (1969): Laws of Form, London: Allen & Unwin.

[6] Varga von Kibéd, M./Sparrer, I. (2003): Ganz im Gegenteil, Heidelberg: Carl-Auer.

[7] Weick, K. E. (1985): Der Prozess des Organisierens, Frankfurt am Main.

 

Miteinander statt gegeneinander

Lesezeit: 5 min.    Keine Zeit? Am Ende gibt’s eine Zusammenfassung

Gemeinsames Verständnis ist möglich

In unübersichtlichen Problemlagen ist für einen realitätsnahen Überblick das verfügbare Wissen verschiedenster Fachdisziplinen zu integrieren. Wie ermöglicht man Vertreter einzelner Fachgebiete, miteinander zu denken und nicht gegeneinander zu streiten?

Oft sind Vertreter verschiedenster Anspruchsgruppen an einen Tisch zu bringen und eine für alle akzeptable Problemhandhabung zu erzielen. Dabei ist bereits die gemeinsame Formulierung der eher unübersichtlichen Problemlage eine echte Hürde. Dies ist dann oft ein Anlass für eine externe
Beratung.
 

Das Hervorbringen von Resultaten des Denkens

Für ein gemeinsames, ergebnisoffenes Denken ist zunächst zu klären, wie „denken“ zu verstehen ist. Grundsätzlich geht es um einen kognitiven Vorgang. Aus inneren Vorstellungen, Erinnerungen, Erfahrungen und Begriffen wird eine Erkenntnis über externe Sachzusammenhänge geformt. Oft ist
nur das entstandene Resultat des Denkens bewusst und nicht die Operationen des Denkens, die dieses Resultat hervorbringen.

Für ein gemeinsames Verständnis sind die Operationen des Denkens in den Fokus zu stellen: Wenn die Beteiligten ihr jeweiliges Vorgehen beim Denken den anderen mitteilen, dann werden alle bei korrekter Anwendung dieses Vorgehens zu sehr ähnlichen Denkergebnissen bzw. Erkenntnissen
kommen.

Eigenes Denken darlegen und fremdes Denken erkunden

Dann können Vertreter verschiedenster Fachdisziplinen oder Anspruchsgruppen ihr eigenes Denken darlegen und fremdes Denken erkunden. Aus einer ansonsten nahezu unweigerlichen Auseinandersetzung um Denkergebnisse (z. B. Meinungen und Erkenntnisse) wird ein Ringen um eine gemeinsame Form des Denkens.

In meinen Beratungen erkunde ich das Denken, mit denen die Prozessbeteiligten „das Problem“ in ihrem Bewusstsein hervorbringen, von anderem unterscheiden und es als diesen wirksamen Unterschied reproduzieren. Genau hierfür bietet sich die Notation des Formkalküls von George Spencer-Brown [4] [3] an. Mit ihr sind Unterscheidungen beschreibbar, die Beobachter treffen und dadurch Zustände bezeichnen, die sie von anderem unterscheiden. Es geht also um Formen des Denkens.

Die Notation der Form (des Denkens)

Die mit dem Formkalkül von George Spencer-Brown notierten Formen haben keinesfalls eine Materie, Information, Energie oder Substanz! Sie beschreibt die Grundoperation des Unterscheidens, die Beobachter treffen, um Zustände zu bezeichnen und von anderem zu unterscheiden.

Um zu einer gemeinsamen Form des Denkens zu gelangen notiere in meinen Beratungen die Antwort auf folgende Frage: „Wie schaffen Sie es‚ das Problem so zu sehen und nicht anders?“ Das Arbeiten bzw. Notieren der Formen des Denkens beherbergt eine Schatzkiste für das gemeinsame Verstehen einer Problemstellung.

Oft wird das Problem darin gesehen, dass in bestimmten (ökonomischen, sozialen, ökologischen, politischen oder familiären) Umfeld ein erwarteter Nutzen (oder"Beitrag zum Ganzen") mit wachsender Wahrscheinlichkeit als "gefährdet" eingestuft wird. Dafür werden bedeutsame Faktoren genannt und mit Messgrößen konkretisiert. Messgrößen und Faktoren liegen auf verschiedenen Abstraktionsebenen und verweisen aufeinander. Anhand von beiden wird ein Nutzen für ein bestimmtes Umfeld ermittelt.

Dies wird in der dazugehörigen Notation mit dem Formkalkül so dargestellt:

Von rechts nach links sind die Komponenten zunehmend bestimmt und von links nach rechts zunehmend unbestimmt. Daher sind die Messgrößen links neben dem Gleichheitszeichen platziert und das Umfeld ganz rechts.

Das Entbergen von Wirklichkeit

Die gemeinsame Notation von Denkformen ermöglicht Vertretern verschiedener Fachgebiete, Interessen oder Anspruchsgruppen, miteinander zu denken. In meinen Beratungen erlebe ich immer wieder, wie aus einer anfänglich spannungsgeladenen Unübersichtlichkeit der Problemlage allmählich ein Entbergen im Sinne von Heidegger passiert, das Erkenntnis hervorbringt und eine von allen Beteiligten geteilte Wahrheit generiert [1].

Es werden phänomenologische [2] Erfahrungen gemacht, die sich kaum bis gar nicht in bisherige Vorstellungen einfügen oder aus ihnen ableiten lassen. Das irritiert die Beteiligten zunächst. Es verändert ihr Verständnis der Problemsituation und ihre Bedeutung grundlegend. 

Gemeinsames Verständnis erreichen

Die Arbeit mit den Formen des Denkens macht den Beteiligten die Operationen des Denkens zugänglich. Statt auf einzelne Resultate des Denkens aufzubauen, wird der Vollzug des Denkens zur
Grundlage der Problemhandhabung. Auf dieser Basis gelingt eine gemeinsame Formulierung der unübersichtlichen Problemlage. Und es erleichtert damit die Herleitung einer für alle akzeptablen Problemlösung.

 

Zusammenfassung

Gemeinsames Denken verlangt eine Abkehr von den Meinungen, Standpunkten und Erkenntnissen. Sie sind Resultate des Denkens, die von Denkvorgängen hervorgebracht werden. Gemeinsames Verstehen verlangt, eigenes Denken darzulegen und fremdes Denken zu erkunden. Das Formkalkül von Spencer-Brown ist dabei hilfreich.


Quellen:

[1]  Heidegger, M. (1943): Vom Wesen der Wahrheit. Frankfurt a. M.: Klostermann

[2]  Heidegger, M. (1927): Sein und Zeit. (Erste Hälfte); in: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Band 8, 1927, S. 35

[3]  Schönwälder-Kuntze, T./Wille, K./Hölscher, Th. (2009): George Spencer Brown. Eine Einführung in die “Laws of Form”, 2., überarb. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag

[4]  Spencer-Brown, G. (1969): Laws of Form, London: Allen & Unwin.


Effektivität und Effizienz vereinen?

Gedanken von Effektivität und Effizienz sind erweiterbar um einen Purpose. Beim Entwerfen von Entwicklungsmodi ist dies ebenso hilfreich wie die Anwendung des Formenkalküls.

Weiterentwicklung der Wertschöpfung

In China greift ein bislang unbekanntes Virus um sich und nach wenigen Wochen sind weltweite Lieferketten bedroht. So drohen aktuell Lieferengpässe bei wichtigen Medikamenten, deren Wirkstoffe in Asien hergestellt und derzeit viel zu wenig geliefert werden. Das spüren dann auch Apotheken in Deutschland. Bei derart kurzfristigen Veränderungen des marktlichen Umfeldes ist jede Organisation(seinheit) gut beraten, ihre Wertschöpfung regelmäßig auf eine nötige Anpassung an neue Bedingungen zu prüfen.

Das St.Galler Management-Modell erfasst Reflexionen dieser Art in der Modellkomponente Entwicklungsmodi innerhalb der Aufgabenperspektive, in der es um die betriebswirtschaftliche Aufgabenbewältigung geht. Angestrebt werden soll eine dynamische Weiterentwicklung der derzeitigen Wertschöpfung. Sei es durch Optimierung des Bestehenden oder durch Sicherung eines neu erreichten Standards. Auf welchen Wege kann man in diesem Zusammenhang Effektivität und Effizienz miteinander vereinen?

Vom Purpose zum Ziel

Peter Drucker verstand Effektivität als Zusammenhang von bewirkten Folgen und anfänglicher Zielsetzung; den Zusammenhang zwischen Output und Input hingegen verstand der als Effizienz. Heutzutage hingegen wird die Forderung nach einem Purpose immer stärker diskutiert. Ist das wirklich ein grundlegend neuartiger Gedanke?

Druckers Gedanke war: Ein vorab definiertes Ziel wird zu erreichen versucht, indem Ressourcen bereitgestellt, Aktivitäten durchgeführt und kurzfristige Ergebnisse erreicht werden, die dann mittelfristige Folgewirkungen nach sich ziehen. Mit der heute immer stärker diskutierten Orientierung an einem Purpose, verstanden als einen Wertbeitrag für die Stakeholder, der die Legitimation der Organisation(seinheit) sichert, könnte man den Gedanken von Drucker nahtlos ergänzen mit: Die bewirkten mittelfristigen Folgen haben deutliche Bezüge zum generierten langfristig wirkenden Wertbeitrag für die Gesellschaft (Purpose), an dem sich die anfängliche Zielsetzung bereits orientierte.

Anwendung des Formenkalküls

Mit der Notation des Formkalküls von George Spencer-Brown (1969, 2008, 2009) sind Unterscheidungen beschreibbar, die von Beobachtern getroffen werden um Zustände zu bezeichnen, die von anderen Zuständen unterschieden werden. Damit ist der in einem formulierten Arbeitspaket anzustrebende Zusammenhang von Effizienz, Effektivität und Purpose modellierbar. Es können dabei sogar verschiedene Akzente von unterschiedlichen Beobachtern (z. B. einem Controller und einem Strategen) erfasst werden.

Die obere Modellgleichung liest sich wie folgt: Ein gut ausformuliertes Arbeitspaket ist mehrfach bestimmt: Sie bewirkt praktische Resonanz, indem es Beobachter den verfügbaren Input (Ressourcen), die Aufgabenbewältigung (zu vollziehende Tätigkeit) und den angestrebten Output (kurzfristiges Resultat) voneinander unterscheiden lässt. Diese Unterscheidungen erfolgen im Hinblick auf einen zu erwartenden Outcome (mittelfristige Folgewirkung), der sich bezieht auf den zu leisteten Purpose (langfristiger Wertbeitrag für die Stakeholder). In dieser Modellgleichung ist der verfügbare Input im tiefsten Raum notiert. Der Akzent liegt somit auf der Ressourcenorientierung: Die verfügbare Ressourcenausstattung sichert das Geschäftsmodell.

Es ist allerdings durchaus auch möglich, den Akzent anders zu setzen. Eine Möglichkeit zeigt die untere Modellgleichung. Sie ist so zu lesen: Ein gut formuliertes Arbeitspaket bewirkt praktische Resonanz, indem es Beobachter den grundsätzlich zu leisteten Purpose (langfristiger Wertbeitrag für die Stakeholder), den zu erwartenden Outcome (mittelfristige Folgewirkung) und den angestrebten Output (kurzfristiges Resultat) voneinander unterscheiden lässt. Unterscheidungen erfolgen im Hinblick auf eine zu leistende Aufgabenbewältigung (zu vollziehende Tätigkeit) mit Bezug zu einem aktuell verfügbaren Input (Ressourcen). In dieser Modellgleichung ist der bezweckte Purpose im tiefsten Raum notiert. Der Akzent liegt somit auf der Purposeorientierung: Der generierte Purpose (langfristiger Wertbeitrag für die Stakeholder) sichert das Geschäftsmodell durch die wirksame Akzeptanz seitens der Gesellschaft.

Stakeholder statt Shareholder

Eine regelmäßige Weiterentwicklung der zu verantwortenden Wertschöpfung ist in Zeiten des permanenten Wandels ratsam. Das St.Galler Management-Modell erfasst die Gestaltung der eigenen Entwicklungsmodi im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Aufgabenbewältigung. Die traditionelle Ressourcenorientierung ist dabei eher kurzfristig angelegt und gut kompatibel zum Controlling. Und sei nimmt die traditionellen Stakeholder stark in den Blick.

Hingegen ist eine Purposeorientierung langfristig ausgelegt und insofern kompatibel zur Strategie und derartigen Roadmaps. Zusätzlich aber hat die Purposeorientierung auch die Legitimität des Geschäftsmodells in den Augen der Stakeholder im Blick. Wenn also Neuerungen angedacht werden, dann gilt der Grundsatz: Vom Purpose zum Ziel.

Die verantwortungsvolle Unternehmensführung fragt bei der Gestaltung von Entscheidungen, Maßnahmen und Aufgaben, welcher Weg möglichst wirksam ist (Effektivität) und wie ein gewählter Weg aufwandsarm zu begehen ist (Effizienz), um mit begrenzten Mitteln in einem sich verändernden Wettbewerbsumfeld ein Ziel zu erreichen, das eine gesellschaftlich akzeptiertes und insofern legitimes Geschäftsmodell unterstützt (Purpose).

purpose makes sense

Organisationen benötigen einen Purpose als das Handlungsregulativ. Dazu wird ein Orientierungsrahmen benötigt, mit dem im Berufsalltag gemachte Beobachtungen mit einer gemeinsam getragenen Bedeutung versehen werden können. Steht dabei das Generieren eines Wertebeitrages für die Gesellschaft im Fokus, wirkt bereits ein Purpose. Er wird in aufeinander verweisenden Kommunikationen immer wieder ausgehandelt. Dieses kommunikative Aushandeln verbindet individuelles und kollektives Denken, schafft eine gemeinschaftliche Sichtweise und lenkt die Aufmerksamkeit in bestimmte Bahnen. Eine Führungskraft kann die Formulierung eines Purpose mitgestalten, aber nicht vorgeben. Ihre kommunikativen Beiträge haben in dem Maße Gewicht, in dem die Beteiligten sie als vertrauenswürdig einstufen. Je glaubhafter jemand auf die Gemeinschaft achtet, desto vertrauenswürdiger wird er erlebt.

Eigenverantwortung

Das in deutscher [1] und englischer [2] Sprache veröffentlichte Leipziger Führungsmodell (LFM) setzt auf das verantwortlich handelnde Individuum, das sich in seinen Entscheidungen zu bewähren hat. Dazu werden grundlegende Dimensionen einer verlässlichen Orientierung für Entscheidungsträger benötigt, die in sich verändernden Kontexten mit unterschiedlichen Gesprächspartnern zu agieren haben. Genau das möchte das Modell bieten.

Der rote Faden des Modells lautet in etwa: Jeder Entscheider wirkt im Rahmen einer Organisation(seinheit) als übergeordnetes Ganzes. Die Funktionstüchtigkeit dieses Ganzen hat sich unter Wettbewerbsbedingungen zu bewähren. Ihr Erfolg wird maßgeblich daran gemessen, inwiefern sie Wertbeiträge für die Gesellschaft zu generieren vermag.

Handlungsleitende Idee des gesamten Modells ist Purpose. Damit ist das gesamte deutschsprachige Begriffsfeld von Sinn, Zweck, Bedeutung, Zielausrichtung etc. angesprochen. Es geht somit um die Begründung dafür, dass eine Organisation für Dritte überhaupt von Bedeutung ist. Dieser Pur-pose wird verstanden als eine motivierende, gemeinsam getragene Antwort auf die Frage nach dem Zusammenspiel von Arbeitsaufgabe, verfügbare Mittel zur Erreichung kurzfristiger Ziele einer Zielhierarchie, an deren oberen Ende ein Endzweck steht. Dieser Zweck begründet die Legitimation der Organisation(seinheit) gegenüber der Gesellschaft durch den generierten Wertbeitrag für die Stakeholder sowie zur Stabilität und Weiterentwicklung der Gesellschaft.

Das Nachdenken über den letztendlichen Wertbeitrag und seiner Bedeutung bleibt ein kontinuierlicher Prozess. Aus ihm erwachsen mit der Zeit handlungsleitende Prinzipien, die eine Konsistenz des eigenen Tuns und Unterlassens fördern. Daraus entwächst eine innere Haltung, die von den Interaktionspartnern als Berechenbarkeit und Verlässlichkeit erlebt wird.

Organisationsinternes Beziehungsgefüge

Ein derart wirksamer Purpose kann eine Führungskraft kommunizieren und vorleben. Aber vorschreiben kann eine Führungskraft diesen Purpose unter keinen Umständen und keinem Bezugspunkt. Vielmehr entsteht der Purpose in den organisationsinternen Beziehungsgefügen, in denen die Prozessbeteiligten eingebunden sind.

In diesen kommunikativen Netzwerken werden immer wieder neuartige und variierende Formulierungen des Purpose angeboten. Der Einfluss jeder gegenüber dem aktuellen Stand veränderten Formulierung hängt an der Resonanz, die sie im Netzwerker hervorrufen. Diese Resonanz kann bis zu einer vollkommenen Bestätigung bei den Prozessbeteiligten der Wertschöpfung gehen und sogar von der Gesellschaft geteilt werden. Insofern verknüpft der Gedanke des Purpose individuelles und kollektives Denken und Handeln miteinander und ermöglicht eine gemeinsame Ausrichtung.

Purpose kann man also verstehen als gemeinsame Antwort auf die Beitragsfrage, die eine gemeinsam geteilte Interpretationen der generierten Beiträge für gesellschaftliche Gruppen und für die Gemeinschaft ermöglicht. Die Bewertung einzelner Beiträge erfolgt dann in Bezug auf als legitim angesehene Erfolgsindikatoren. Ein so verstandener Purpose verbindet die Projekt- bzw. Prozessbeteiligten mit den Stakeholdern und der Gesellschaft. Der Existenzgrund der Organisation hat dann neben unternehmerischen Argumenten zusätzlich ethische politische Legitimationen des gesellschaftlichen Umfeldes. Das sichert die langfristige Existenz des Unternehmens.

Umwelt, Organisation und Management

Das in deutscher [5] und englischer [6] Sprache veröffentlichte St. Galler Management-Modell (SGMM) geht von einem Zusammenwirken von Umwelt, Organisation und Management aus. Das Modell beschreibt Prozesse der verteilten Wertschöpfung mit Facetten aus der traditionellen Betriebswirtschaftslehre, der insbesondere in englischen Raum verbreiteten Praxistheorie und der Theorie sozialer Systeme. Grundsätzlich wird dabei in einer Aufgabenperspektive die aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre fachinhaltlich zweckmäßige Bearbeitung von Aufgaben und Problemen der Wertschöpfung in dem Zusammenspiel von Umwelt, Organisation und Management dargelegt. Anschließen werden in einer Praxisperspektive aus Sicht der Praxistheorie und der Theorie sozialer Systeme wesentliche Voraussetzungen dafür aufgezeigt, dass sich ein wirksames und verantwortungsbewusstes Management zur Aufgaben- und Problembewältigung überhaupt entfalten kann.

Auch das SGMM thematisiert das deutschsprachige Begriffsfeld von Sinn, Zweck, Bedeutung und Zielausrichtung. Auch hier wird davon ausgegangen, dass es ein gemeinsam getragenes Verständnis gibt vom Zusammenhang von Arbeitsaufgabe, verfügbare Mittel zur Erreichung kurzfristiger Ziele und eines langfristigen Zwecks steht. Auch hier begründet das Generieren von Nutzen die Legitimation der Organisation(seinheit) gegenüber der Gesellschaft.

Kommunikative Netzwerke

Verortet wird diese Thematik in einem Orientierungsrahmen innerhalb der Praxisperspektive. Es geht ausdrücklich um das, was der organisationalen Wertschöpfung und ihrer Weiterentwicklung Kohärenz und Ausrichtung verschafft: Eine effiziente Koordination der Alltagsroutine, die Schaffung von Voraussetzungen für den zukünftigen Erfolg und das Wahrnehmen von gesellschaftlicher Verantwortung. Dieser Orientierungsrahmen wirkt als verbindliches und verbindendes Sinn- und Orientierungsgerüst einer Organisation(seinheit). Die Anwendung dieses Gerüsts ermöglicht den Organisationsmitgliedern das Schaffen gemeinsam geteilter Interpretationen des Generierens von Beiträgen für gesellschaftliche Gruppen und für die Gemeinschaft; genau das ist der Purpose. Er wird in den organisationsinternen Kommunikations- und Beziehungsgefügen formuliert, in denen die Organisationsmitglieder eingebunden sind.

Entlang der zu verantwortenden Wertschöpfungsketten und -prozesse bedarf es aufeinander abgestimmter Kommunikationen zum Treffen von Entscheidungen und ihrer organisationalen Verbreitung. Kernoperation einer Organisation ist somit Kommunikation in/von Entscheidungen; hierbei verweisen die einzelnen Kommunikationen/Entscheidungen stets auf bereits früher getätigte Kommunikationen/Entscheidungen, führen sie thematisch weiter und sind selbst immer auch Anknüpfungspunkte für später erfolgende Kommunikationen/Entscheidungen.

In diesen kommunikativen Netzwerken werden immer wieder neuartige und variierende Formulierungen des Purpose angeboten. Es kommt zum Sensemaking, zu kommunikativen Prozessen der alltäglichen Sinnkonstruktion ([7], S. 45ff.). In Kommunikationsprozessen werden Sinnbezüge zwischen Sachzusammenhängen und Erfolgsindikatoren angeboten und teils übernommen, teils verändert und teils verworfen. Die Wirkung einzelner Kommunikationsbeiträge hängt an der Resonanz, die sie im Netzwerker hervorrufen. Dies kann von totaler Ablehnung über Ignoranz bis zu einer vollkommenen Bestätigung bei den Prozessbeteiligten der Wertschöpfung gehen und sogar von der Gesellschaft geteilt werden.

Organisationen sind soziale Systeme

Organisationen bestehen somit im Kern aus einem Netzwerk von einzelnen aufeinander verweisenden Kommunikationen in/von Entscheidungen. Da dies das Kennzeichen von sozialen Systemen ist, sind Organisation(seinheiten) als soziale Systeme zu verstehen. Sie bestehen aus Kommunikationen in /von Entscheidungen, die aufeinander verweisen. Keine dieser Entscheidungen wird in einem leeren, kontextlosen Raum getroffen. Vielmehr wirken Kommunikationswege (Reportingstrukturen oder Linien), Personen (Quellen und Adressaten von Kommunikationen) und Programme (Entscheidungen über Ziele und Vorgehensweisen) als von den Akteuren entscheidbare Entscheidungsprämissen. [4]

Diese Entscheidungsprämissen beeinflussen sich wechselseitig: Für eine optimierte verteilte Wertschöpfung (Zweckprogramm) bedarf es ausreichend definierte Geschäftsprozesse (Konditionalprogramme). Dafür werden passend ausgebildete, erfahrene Verantwortliche (Personen) rekrutiert. Prozessverantwortliche, Geschäftsbereichsleitungen und Unternehmensleitung benötigen einen geregelten Austausch an Daten und Mitteilungen (Kommunikationswege), um weiterhin Entscheidungen über die Weiterentwicklung der internen, oft verteilten Wertschöpfung herbeiführen zu können.

Making Sense of Purpose

Schon Weick [8] hat in seinen organisationstheoretischen Arbeiten das Konzept des Sensemaking dargelegt. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um einen kommunikativen Prozess, bei dem die Prozessbeteiligten sich über aktuell beobachtete Ereignisse austauschen, Bezüge zu früheren Erfahrungen besprechen, dazu passende Erklärungen formulieren, so eine gemeinschaftliche Sichtweise bewirken und ihre Aufmerksamkeit in bestimmte Bahnen lenken. Das als „plausibel“ eingestufte kommunikativ ausgehandelte Verknüpfen der aktuellen Beobachtungen mit den früheren Erfahrungen erzeugt eine gemeinsam geteilte Bedeutung, die auch als genügende Erklärung dient und oft auch als Begründung für das weitere Tun oder Unterlassen herangezogen wird.

Organisationen bestehen somit im Kern aus einem Netzwerk von einzelnen aufeinander verweisenden Kommunikationen, in denen immer wieder ausgehandelt wird, was sinnvoller Weise nun zu tun ist um warum es zweckdienlich ist. Dieses kommunikative Aushandeln verbindet individuelles und kollektives Denken und Handeln so miteinander, dass eine gemeinsame Ausrichtung des Denkens, Urteilens und Handelns möglich wird. Dies gilt auch hinsichtlich der Bewertung der generierten Beiträge im Rahmen der Wertschöpfung mit Bezug auf als legitim angesehene Erfolgsindikatoren. Der Existenzgrund einer Organisation(seinheit) wird dann sowohl durch ökonomische Argumente als auch durch ethische und politische Legitimationen des gesellschaftlichen Umfeldes gestützt.

Einschätzen von Vertrauenswürdigkeit

Führungskräfte können die organisationsinternen Netzwerke und die darin behandelten Themen und Formulierungen mitgestalten, aber nicht vorgeben oder gar vollkommen steuern. Eine Führungskraft ist weder vollkommen machtlos noch allmächtig. Ihre kommunikativen Beiträge haben in dem Maße Gewicht, in dem die Beteiligten ihr eine erlebte Vertrauenswürdigkeit zuordnen.

Gemäß der Formel für Vertrauenswürdigkeit [3] geht es um das Maß der zugeordneten Glaubwürdigkeit (spricht aus, was als wahr überprüfbar ist), Zuverlässigkeit (hält sich an Absprachen), Zugewandtheit (zeigt Interesse und Wertschätzung) und Selbstorientierung (verfolgt eigene Ziele). Eine Führungskraft, die von den Kommunikationspartnern aufgrund eigener Erfahrungen als glaubwürdig, zuverlässig, zugewandt und wenig selbstorientiert eingestuft wird, bewirkt mit ihren Kommunikationen weitaus wirksamere Resonanzen als Führungskräfte, die als wenig glaubwürdig, kaum zuverlässig, wenig zugewandt und sehr selbstorientiert erlebt werden.

So schlagwortartig diese Formel auch sei, sie liefert doch erste Anhaltspunkte. So kann man durchaus einmal konkrete, als angemessen erlebte Zahlen einsetzen. Eine geläufige Skale dafür wäre von 1 bis 10, wobei eine 10 mit „viel davon“ zu übersetzen ist. Ein ganz praktischer Versuch kann erste Klarheiten geben: Wie vertrauenswürdig ist mein Chef? Wie vertrauenswürdig mag ich ihm erscheinen?

Die genaue Formel der Vertrauenswürdigkeit lautet: (Glaubwürdigkeit + Zuverlässigkeit + Zugewandtheit) : Selbstorientierung. Nehmen wir beispielhaft (8 + 7 + 6) : 2 = 7. So weit so gut. Wenn nun der Nenner nur um einen Punkt höher angenommen wird, ergibt sich (8 + 7 + 6) : 4 = 5, 25. Das Maß der zugeordneten (nicht: tatsächlichen!) Selbstorientierung gibt also den Ausschlag in der Formel der Vertrauenswürdigkeit. Mit andern Worten: Je glaubhafter jemand auf die Gemeinschaft achtet, desto vertrauenswürdiger wird er erlebt. Erneut ergibt sich: Purpose makes Sense!

.

[1] HHL Leipzig Graduate School of Management (Hrsg.) (2017): Das Leipziger Führungsmodell/The Leipzig Leadership Model, 2. überarb. u. erw. Aufl., Leipzig: HHL Academic Press

[2] Kirchgeorg, Manfred; Meynhardt, Timo; Pinkwart Andreas; Suchanek Andreas; Zülch Henning (2019): Das Leipziger Führungsmodell: Führen und beitragen, 3. verb. Aufl., Leipzig: HHL Academic Press

[3] Maister, David H.; Green, Charles H.; Galford, Robert M. (2001): The Trusted Advisor, Simon and Schuster: New York

[4] Luhmann, Niklas (2000): Organisation und Entscheidung, VS Verlag: Wiesbaden.

[5] Rüegg-Stürm, Johannes/Grand, Simon (2019): Das St. Galler Management-Modell. Management in einer komplexen Welt. Haupt: Bern

[6] Rüegg-Stürm, Johannes; Grand, Simon (2019): Managing in a Complex World. The St. Gallen Management Model. Haupt: Bern.

[7] Rüegg-Stürm, Johannes; Grand, Simon (2015): Das St. Galler Management-Modell, 2. völlst. überarb. u. grundl. weiterentw. Aufl., Haupt: Bern.

[8] Weick, Karl E. (1995): Sensemaking in organizations. Thousand Oaks, CA: Sage.

Die direkte Begegnung

In einer zwischenmenschlichen Begegnung ereignet sich unendlich viel zulgeich. Jede beteiligte Person hat das “ich” vom “du ” zu unterscheiden. Und jede Person hat zu bedenken, dass das sich Zusammenspiel von “ich” und “du” in einem mitgedachten “Kontext” entfaltet.

Im Sinne der Gesetzte der Form von Spencer-Brown kann daher eine zwischenmenschliche Begegnung modelliert werden als eine Unterscheidung zwischen “ich” (meine Perspektive als marked space) und “du” (die Perspektive meines Gegenübers als unmarked space), einem re-entry dieser getätigten Unterscheidung sowie einem zumindest implizit mitgedachten Kontext (einem Raum der Bedingungen der Möglichkeiten, der an sich immer auch anders ausgefüllt sein könnte und daher lediglich als empty space – als befüllbarer Behälter – verstanden werden kann.

Als Kontext kann man hilfreicher Weise den Geltungsbereich von “Spielregeln” verstehen; sowohl die einzelnen Regeln als auch der Geltungsbereich sind dabei weder genau umrissen und daher vielfältig variabel. Daher ist es für das Gelingen einer zwischenmenschlichen Begegnung von enormer Bedeutung, die jeweils gelten sollenden “Spielregeln” zu bestimmen. Die Frage lautet dann: Wozu sollen welche Regeln jetzt, hier für uns gelten?

Sollte in der Begegnung eine Entscheidung getroffen werden, dann gehört zu ihrer adressatenorientierte Mitteilung immer auch die Bekanntgabe des Geltungsbereiches der angewandten und weiterhin anzuwendenden Regeln. Das ermöglicht Berechenbarkeit.

Die Seifenblase

Eine frei im Raum schwebende Seifenblase ist ein perfektes Beispiel für die Gültigkeit der Kalküls von George Spencer-Brown.

Die Seifen(laugen)blase lässt ein Inneres von einem Äußeren unterscheidbar werden. Die Lauge trennt das Innere von dem Äußeren und verbindet sie zugleich miteinander.

Diese Unterscheidung (distinction) wird mit dem Wort „Seifenblase“ markiert (marked space). Kontext, Umgebung bzw. Bedingung der Möglichkeit, das überhaupt etwas da ist, werden zugleich nicht benannt und sind daher unmarkiert (unmarked space).

Sollte die Unterscheidung nicht mehr möglich sein (weil die Blase geplatzt ist), dann wird nichts mehr benannt und es bleibt ein leerer Raum (empty space) übrig.

Man kann also feststellen: Worte benennen keine Objekte oder Sachzusammenhänge; Worte benennen die Operation des Unterscheidens zwischen dem, was sie benennen und dem, was sie nicht zugleich mitbenennen (obwohl es dennoch “da” ist).